»Allzu leicht ist man geneigt, auf den Wegen der Ausdeutungen zu vergessen, dass es sich im Fall Kafkas in erster Linie um einen Dichter handelt, um einen Prosakunstler - einem Kleist oder Hebel verwandt und vergleichbar -, der nur mit hochsten Massstaben zu messen oder der, genauer, selber ein Massstab ist. Seine Gestalten und ihr Verhalten sind bei aller Exzentrizitat des Standpunktes, von dem aus sie gesehen werden, von einer so unmittelbar bezwingenden Richtigkeit und Evidenz, dass ihnen unerschopfliche Sinnfulle zuzustro-men scheint. Weit davon entfernt, einsinnig allegorisch oder symbolisch gemeint zu sein, stellen sie sich vielmehr als wunderbar genau erfundene Detektoren zur Erkundung des Verborgenen dar. Nur darf man sie nicht bei ihren Worten nehmen wollen, die jeweils bereits entstellt aufgefangene, nach einem fehlerhaften Code entschlusselte Meldungen, immer nur Ansichten, Meinungen, Vermutungen sind. Ihre Zeugniskraft liegt allein in dem Anschein der Wahrheit, der an ihnen sichtbar wird: ›Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendetsein: Das Licht auf dem zuruckweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts.‹« Friedhelm Kemp